Schritt für Schritt

Die Berechnungen Schritt für Schritt

Für das Verständnis des fatalen Fehlers des Swiss Medical Boards in seinem Statinbericht sollen hier die Herleitungsschritte nochmals erläutert werden. Für weitere Details siehe Excel Tabelle 1 (www.docfind.ch/QALYBerechnungen.xlsx) .

  1. Warum vervierfachen sich die QALY mit Verdopplung der Behandlungsdauer?
    1. Das SMB sagt: in 5 Jahren können eine bestimmte Anzahl Ereignisse mit Statinen verhindert werden. Das ist richtig. Der Einfachheit halber sagen wir, dass ein einziger Todesfall über 5 Jahre mit Statinen verhindert werden kann, wenn man 100 Personen über 5 Jahre behandelt.
    2. Da die Ereignisse am Anfang oder am Schluss der 5 Jahre auftreten könnten, würde dies erheblichen Einfluss auf die Zahl der möglichen QALY haben. Da ein Todesfall-Verhinderung mit QALY=1 gleichgesetzt wird, wäre ein Todesfall nach einem Jahr mit 4 verlorenen Lebensjahren verbunden, man könnte also 4 QALY gewinnen, wenn man den Todesfall verhindern könnte.
    3. Tritt hingegen der Todesfall erst im 4. Jahr der Behandlung auf, würde man also nur ein Lebensjahr verlieren, also 1 QALY.
    4. Da die kardiovaskulären Todesfälle in Populationen über die Zeit linear zunehmen, kann man der Einfachheit halber korrekterweise bestimmen, dass im Mittel die Ereignisse nach der Hälfte der Behandlungsdauer auftreten, also bei einer Behandlung über 5 Jahre, nach 2.5 Jahren. Somit rechnet das SMB in seinem Modell mit 2.5 QALY pro Todesfall über 5 Jahre Behandlung mit Statinen. Demnach gewinnt man durch die Verhinderung eines Todesfalls 1×2.5=2.5 QALY.
    5. Doch was passiert, wenn man die 100 Personen über 10 Jahre behandelt? Da das Risiko linear ansteigt, verdoppeln sich die vermeidbaren Ereignisse, also 1 vermeidbares Ereignis nach 5 Jahren, 2 vermeidbare Ereignisse nach 10 Jahren ecc.
    6. Gemäss dem Modell treten die Ereignisse im Mittel nach der Hälfte der Behandlungszeit auf, also bei einer Behandlung über 5 Jahre nach 2.5 Jahren und bei einer Behandlung über 10 Jahre nach 5 Jahren.
    7. Da also 2 Ereignisse über 5 Jahre vermeidbar sind, ergeben sich 2×5=10 QALY. Die Wirksamkeit der Statine auf die QALY hat sich also von 2.5 auf 10 vervierfacht.
  2. Was bedeutet das auf die Kosten pro QALY?
    1. Das SMB berechnet im Modell eine bestimmte Anzahl Franken für die Behandlungskosten.
    2. Nehmen wir als Beispiel wieder 100 behandelte Personen über 5 Jahre und sagen wir, die präventiven Behandlungskosten abzüglich der Behandlungskosten im Ereignisfall wären Nettokosten von 500’000 Franken oder 50’000 Fr. pro Person.
    3. Da im Beispiel ein Todesfall verhindert werden kann mit einem Gewinn an QALY von 2.5, ergeben sich 500’000/2.5 Fr = 200’000 Fr pro QALY.  
    4. Wenn jetzt aber die Behandlungsdauer auf 10 Jahre verdoppelt wird, verdoppeln sich die Nettokosten von 500’000 auf 1’000’000 Fr., wir erhalten für diesen Preis jedoch 10 QALY, somit sinken die Kosten pro QALY auf 100’000.
  3. Was ist eine kosteneffiziente Kostenschwelle pro QALY
    1. Wie im Gutachten diskutiert, kann ein Preis von 100’000/QALY akzeptiert werden, auch ein Preis von 150’000 Fr/ QALY wäre denkbar.
  4. Sind Statine nun kosteneffizient oder nicht?
    1. Anhand unseres Beispiels zeigt sich, dass die gleiche Behandlung bei gleicher Wirksamkeit über 5 Jahre Behandlung nicht, über 10 Jahre Behandlung aber kosteneffizient ist, wenn man die Kostenschwelle von 100’000/QALY akzeptiert.
  5. Wie kommt das SMB zur Empfehlung, erst ab einem Sterberisiko von 7.5% in 10 Jahren ein Statin einzusetzen?
    1. Ursprünglich lautete die Empfehlung, erst ab einem Risiko von 10% in 10 Jahren zu behandeln (die ESC SCORE Norm).
    2. Nehmen wir also wieder die 100 Personen. Diese werden zu 1 Mio Franken über 10 Jahre mit einem Statin behandelt. Nach 10 Jahren sollen also 10 von 100, nämlich 10% sterben. Das ist das Risiko.
    3. Die Statine senken nun das Risiko zu sterben um rund 20% (relative Risikoreduktion). Auf diese Zahl beruft sich das SMB gemäss der CTT Studie.
    4. Wenn also 10% sterben würden, mit Statinen aber 20% weniger, dann sterben 8 und 2 werden vor dem Tod gerettet. Wie wir gesehen haben, entspricht dies Kosten von 100’000/QALY.
    5. Das SMB hat dann aber einen Fehler geortet und im korrigierten Bericht vom 2014 die Kosteneffizienz-Schwelle auf 7.5% gesenkt. Damit können 1.5 Todesfälle verhindert werden in 10 Jahren, macht 1.5×5=7.5 QALY. Wir haben also Kosten von 1. Mio Franken zu 7.5 QALY, somit Kosten pro QALY von 133’333/QALY.
  6. Wie berechnet das SMB die Abnahme des Risikos für nicht-tödliche Ereignisse?
    1. Auf jedes tödliche vermeidbare Ereignis berechnet das SMB in seinem Modell, dass 4.5 nicht tödliche Ereignisse verhindert werden könnten.
    2. Für jedes verhinderte nicht tödliche Ereignis gibt es 0.2 QALY pro Jahr, so steht es im Bericht des SMB.
    3. Also schauen wir nun den Effekt an. Für vermiedene Todesfälle in 5 Jahren gibt es wie oben erwähnt 2.5 QALY, dann kommen noch 4.5 vermiedene Ereignisse zu 0.2 QALY über 2.5 Jahre dazu also 4.5×0.2×2.5=2.25 QALY.
    4. Wir haben nun also 2.5 und 2.25 QALY = 4.75 QALY zu Kosten von 500’000 Fr. über 5 Jahre oder Kosten von 105’263 Fr/QALY.
    5. Nun schauen wir die Situation über 10 Jahre an. Es könne also 9 nicht tödliche Ereignisse über 10 Jahre und 2 tödliche Ereignisse über 10 Jahre verhindert werden. Wir haben also 9×0.2×5=9 QALY und die 10 QALY für tödliche Ereignisse, wie oben hergeleitet, ergibt insgesamt 19 QALY zu 1’000’000 Behandlungskosten oder 52’632 Fr/QALY.
  7. Wie sieht nun das Modell des SMB konkret aus?
    1. Wir haben hier die Vorgaben des SMB angewendet, um in einem vereinfachten Modell die Effekte von zwei Variablen zu beobachten:
      1. Die Behandlungsdauer wird verdoppelt, von 5 auf 10 Jahre.  
      1. Auf jedes tödliche Ereignis ereignen sich 4.5 nicht tödliche Ereignisse
  1. Im originalen SMB Modell können in 5 Jahren 2 tödliche Ereignisse und 9 nicht tödliche Ereignisse bei 1’000 behandelten Personen verhindert werden.  Da mit Statinen wie gesagt eine relative Risikoreduktion von 20% erreicht wird, treten also bei 1’000 behandelten Personen über 5 Jahre 10 Todesfälle auf, wovon 2 verhindert werden können. Insgesamt treten demnach bei 1’000 Personen über 5 Jahre 9 nicht-tödliche vermeidbare Ereignisse auf, insgesamt also 5×9=45 Ereignisse, wovon eben 9 verhindert werden können.
  2. Damit kommen wir zum Risiko bei diesen 1’000 Personen über 5 Jahre: es beträgt für das tödliche Ereignis somit 10 erwartete Ereignisse auf 1’000 Personen oder 1% Sterberisiko. Für tödliche und nicht-tödliche Ereignisse wie in 7b hergeleitet 45/1’000 oder ein kardiovaskuläres Risiko von 4.5%.
  3. Welche Kosten/QALY berechnet nun das SMB?
    1. Das SMB berechnet für ein Sterberisiko von 1% bzw. ein Erkrankungs- und Sterberisiko von 4.5% in 5 Jahren Kosten von 200’000 Fr/QALY. Wir haben das nachgeprüft mit den bis auf die letzte Kommastelle korrekten Zahlen aus dem Modell des SMB. Es ergeben sich Kosten von 210’440 Fr/QALY (Tabelle 2 www.docfind.ch/QALYBerechnungen.xlsx).
  4. Wie kommt das SMB nun auf die Empfehlung, Statine erst ab einem Sterberisiko von 7.5% in 10 Jahren einzusetzen?
    1. Um diese Frage zu beantworten, folgen wir weiter Schritt für Schritt dem Modell des SMB. Wir stellen hier fest, dass das SMB im Modell über 5 Jahre rechnet, Kosten von 210’440/QALY für ein Sterberisiko von 1% in 5 Jahren ausweist und habe festgestellt, die Kosteneffizienzschwelle sei somit erst ab einem Sterberisiko von 7.5% in 10 Jahren erreicht.
    2. Für diese Feststellung findet sich aber im Statinbericht des SMB gar keine mathematische Herleitung. Wir rechnen jetzt also selber
      1.  Bei einem Sterberisiko von 1% in 5 Jahren ergibt sich somit ein Sterberisiko von 2% in 10 Jahren bei den erwähnten 1‘000 Personen, das sind also 20 Personen, die in 10 Jahren an einem kardiovaskulären Ereignis sterben würden.
      1. Mit den ganz korrekten Zahlen betreffend relativer Risikoreduktion mit Statinen, nämlich 21.06% statt 20.00%, beträgt das Sterberisiko nicht exakt 1%, sondern 0.95%, d.h. in 5 Jahren erwarten wir 9.5 Todesfälle auf 1‘000 Personen in 5 Jahren oder in 10 Jahren dann eben 2×9.5=19 Todesfälle und 19×4.5=85.5 tödliche und nicht tödliche kardiovaskuläre Ereignisse. Das Sterberisiko beträgt also 1.9%.
      1.  Gemäss den Berechnungen des SMB ergeben sich für dieses Sterberisiko in 10 Jahren von 1.9% Kosten von 95‘746 Fr./QALY. (Siehe Tabelle 2 in der Excel Tabelle).
  1. Die Schwelle der Kosteneffizienz (<100‘000 Fr/QALY) wird also ab einem Sterberisiko von 1.9% erreicht, wenn man mit dem SMB Modell rechnet.
  2. Das SMB behauptet aber auf Seite 32 des Statinberichts, für die Schwelle von 7.5% Sterberisiko würden immer noch 160‘000 Fr/QALY anfallen. Für diese Schwelle berechnen wir jedoch Kosten von 3‘428/QALY (Tabelle 2, rechte Spalte).
  3. Die Zahlenangabe zum Sterberisiko ist somit falsch, es müsste heissen, ab einem Sterberisiko von 1.9% ist die Kostenschwelle für 100‘000 QALY erreicht, für die Kostenschwelle von 150‘000/QALY wäre sogar noch ein Sterberisiko von nur 1.34% oder höher kosteneffizient zu behandeln.
  1. Was sind die Auswirkungen des Fehlers des SMB?
    1. Dem SMB wird von Dr. med. Alan Niederer in der NZZ vom 14.03.2019[1] beschrieben als „das Swiss Medical Board (SMB), ein breit abgestütztes und fächerübergreifendes Expertengremium“.
    2. Beim Statinbericht hat das SMB aber offensichtlich massive Fehler begangen, welche 2014 kommuniziert und seither nicht entfernt bzw. korrigiert wurden.
    3. Die Kernaussage des SMB zu den Statinen lautet: „Eine Verschreibung von Statinen in der Primärprävention ist bei einem Risiko für ein tödliches kardiovaskuläres Ereignis von unter 7.5% (Anmerkung des SMB: “Korrektur im Mai 2014 von 10% auf 7.5% aufgrund des verdankenswerten Hinweises eines Fachspezialisten auf eine Unstimmigkeit in den Berechnungen“) nicht indiziert.“
      1. Hier handelt es sich um eine normative Aussage. Eine fehlende Indikation bedeutet, dass es falsch ist, Statine bei einem Sterberisiko von < 7.5% abzugeben, und zwar unabhängig von der personalisierten Situation eines Patienten.
      1. Der Hinweis des Fachspezialisten wird nicht offengelegt, wer war das, worin bestand der Hinweis?
      1. Eine Unstimmigkeit in den Berechnungen: welche Unstimmigkeit ist da gemeint, beim Wirksamkeitsmodell? Dies wird nicht offen gelegt.
  2. Das SMB hat in seinem Statinbericht das Resultat der eigenen Berechnungen auf den Kopf gestellt. Statine sind sehr kosteneffizient, wie wir nachgerechnet haben. Um Diese dem SMB offenbar nicht genehme Tatsache zu verwischen, hat das SMB die Öffentlichkeit belogen.  Die Auswirkungen wurden in unserem Gutachten beschrieben.

[1] https://www.nzz.ch/schweiz/roboter-bringt-bei-prostata-und-gebaermutteroperation-wenig-ld.1467070